Klassenfahrten mit Erdnussallergie, Nussallergie und Anaphylaxie

Mit Nahrungsmittelallergien auf mehrtägigen Gruppenfahrten – wie kann das funktionieren?

Wie kriegt man die Verpflegung allergenfrei, nussfrei oder erdnussfrei hin?

Was passiert mit den Notfallmedikamenten?

(Update 08.12.2022) Klassenfahrten treiben Eltern von nahrungsmittelallergischen Kindern den Schweiß auf die Stirn und große Fragezeichen in die Augen:

Wie kann das funktionieren?

Wie kann man sowas tatsächlich trotz Anaphylaxie-Risiko vorbereiten und durchführen?

Sollte oder muss man sogar als Elternteil mitfahren?

Video-Workshop mit hilfreichen Beispielen, Tabellen, Checklisten:

Du findest konkrete Hilfestellung rund um die Planung und Durchführung hier: 👉 „Klassenfahrten mit Nahrungsmittelallergie und Anaphylaxie“:

  • wie du die Verpflegung und das Notfall-Management im Vorfeld organisieren und vor Ort gewährleisten kannst
  • wann und wie du mit wem kommunizieren solltest
  • wer als Begleitung in Frage kommt u.v.m.
  • inkl. Checklisten und Vorlagen, die dir die Planung und Durchführung erleichtern

Wie erleben die allergischen Kinder selbst eigentlich solche Fahrten?

Klassenfahrt-Erdnussallergie-Nussallergie-Anaphylaxie

  • Wie klappt es mit der nussfreien Verpflegung?
  • Wie ist das, wenn man beim Essen immer ungewollt im Mittelpunkt steht?
  • Wie gehen sie mit den Notfallmedikamenten um?

Hier in der Nuss-Ecke und im Nuss-Knacker-Podcast äußert sich nun jemand, den es direkt betrifft: Mein Sohn! 😊

Als Teenager hat er in seinem Allergiker-Leben bereits diverse Klassenfahrten und andere Gruppenfahrten absolviert.

(Das ungekürzte Interview kannst du im O-Ton hier im Nuss-Knacker-Podcast hören.)

Interview „Klassenfahrt mit Nussallergie“:

Kristina Schmidt: Hallo Frederik, schön, dass du dich zu diesem Interview bereit erklärt hast! Ich stell dich einmal kurz vor:

Du bist jetzt 14 Jahre alt, du bist allergisch gegen alle Nüsse – außer Mandeln, und Erdnüsse verträgst du auch. Und du hast einen Anaphylaxie-Risiko bei Schalentieren, plus Pollenallergien usw., aber um die geht es jetzt hier nicht.

Du hast ja schon so einige Fahrten hinter dich gebracht. Zuletzt war da eine Fahrt, zu der du dich sehr kurzfristig entschieden hast, nämlich ein CVJM-Lehrgang teilzunehmen. Du kanntest vorher nur einzelne TeilnehmerInnen und keine der BetreuerInnen. Da waren also einige große Unbekannte in dieser Rechnung, und ich gebe zu: Als Mama hatte ich kurz den Gedanken, „Bitte fahr nicht!“, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich das in den wenigen Tagen organisiert kriegen sollte. Aber du hast dich dafür entschieden, und selbstverständlich haben wir auch gesagt: Mach das! Und dann ging es darum, das möglich zu machen.

Wie war das für dich als betroffener Jugendlicher, so eine Fahrt anzutreten?

Welche Rolle hat die Allergie bei deiner Entscheidung zur Teilnahme gespielt?

Frederik Schmidt: Es war halt relativ kurzfristig und deswegen habe ich mich gefragt, wie das denn in der Zeit mit Absprachen und so wie man das hinkriegen soll. Und ich war dann auch ein bisschen skeptisch. Aber es hat letztendlich alles ganz gut funktioniert.

K.S.: Ja, ich selber war auch echt erstaunt, wie gut es dann funktioniert hat! Du bist ja satt und zufrieden wieder zurückgekommen. Du bist nicht verhungert. 🙃 Das hängt natürlich auch immer von den Menschen ab, auf die man dann da trifft.

Wie hat das geklappt mit den Mahlzeiten? Fangen wir mal mit Frühstück und Abendessen an.

F.S.: Beim Frühstück war es so, dass Selbstbedienung war und es insofern eigentlich kein großes Problem war, dass ich da meine eigenen Sachen mitnehme. Dann hatte ich halt Brot dabei, und meinen Aufschnitt und Aufstrich, und konnte mir das jeden Morgen aus dem Kühlschrank rausholen. Brötchen wurden für mich fertig gemacht, jeden Morgen zwei Stück, die waren dann auch immer pünktlich fertig

K.S.: Aufbackbrötchen?

F.S.: Aufbackbrötchen, ja, in einem eigenen Brotkorb. Also, guter Service eigentlich! Beim Abendessen war es im Grunde das gleiche, nur da gab es keine Brötchen.

K.S.: Okay, also das war im Wesentlichen selbst mitgebracht. Und wie war das mittags?

F.S.: Mittags gab es immer warmes Essen. Das haben wir am Anfang abgeklärt, und da war die Küche sehr aufgeschlossen und bereit, uns zum Beispiel den Speiseplan zu geben, damit wir da drüber gucken können. Das hat dann letztendlich auch alles funktioniert.

K.S.: Mhm. Das heißt, du bist dann dahin gekommen mit allen anderen zusammen und hast dich frei an allem bedient? Oder hast du da vor Ort mittags nochmal nachgefragt?

F.S.: Mittags habe ich immer nachgefragt, ob da irgendwas Bedenkliches ist. Bei Nudeln oder so ist eigentlich klar, dass da nichts drin ist, ich habe aber trotzdem nachgefragt. Einmal gab es Schnitzel, da habe ich gefragt, ob die Panade geht, und da haben die in der Küche angerufen und nachgefragt. Und dann haben sie halt gesagt, dass es nicht geht. Eigentlich hätte da für mich dann eins ohne Panade stehen sollen. Das war dann leider nicht so – das war aber auch nicht tragisch.

K.S.: Da hast du dann halt nur die Beilagen gegessen?

F.S.: Ja.

K.S.: Und wie haben die anderen reagiert, mit denen du zusammen gegessen hast? War das jedes Mal Thema oder war das nur am Anfang ein Thema?

F.S.: Die haben halt komisch geguckt, warum ich da mit so einer Riesen-Dose und meinem eigenen Brot ankomme. Denen habe ich das dann erklärt. Manche haben es verstanden. Oder… Sie haben es akzeptiert, sage ich mal, nicht unbedingt verstanden, aber… Manche Betreuer haben dann auch nachgefragt, haben sich mit mir darüber unterhalten.

K.S.: Nachtisch ist ja immer noch so ein sensibles Thema, was war damit?

F.S.: Den hatte ich auch selber mit dabei und konnte mir ihn auch aus dem Kühlschrank holen. Und das war im Grunde auch kein Problem. Manchmal ging auch der Nachtisch, der da war. Wenn das nur so ein Frucht-Joghurt oder so war, dann habe ich auch nachgefragt.

K.S.: Wir hatten es eben erwähnt: Die Küche war sehr offen! Wir haben uns ja wirklich erst an dem Tag, als es losging, mit dem Küchenchef hingesetzt, und er hat sich fast eine halbe Stunde Zeit genommen und alles mit uns gemeinsam durchgesprochen. Das war schon wirklich toll! Der kannte sich gut aus und wusste, wovon er spricht.

Stichwort BetreuerInnen: Wie war das mit den Notfall Medikamenten? Haben die die Notfall-Medikamente verwaltet oder hast du sie immer dabei gehabt? Wie bist du damit umgegangen?

F.S.: Dabeigehabt durch die Medikamente immer selbst, immer im Bauchgurt. Und die Betreuer wussten Bescheid. Wir haben am Anfang der leidenden Betreuerin von meiner Gruppe alles erklärt, und die kannte sich damit auch schon aus, denn die war mal Rettungssanitäterin gewesen. Und die anderen Betreuer wussten Bescheid über die Allergie, ich weiß nicht, ob sie auch alle genau über die Medikamente Bescheid wussten, aber die Leiterin war eigentlich immer dabei, und ansonsten waren auch überall Leute drumherum.

K.S.: Gut, du bist ja inzwischen mit 14 Jahren auch schon älter. Kannst du dir vorstellen, dir selbst zu helfen, wenn eine Reaktion eintreten würde?

F.S.: Ich glaube, ich würde es am ehesten selber machen, wenn ich mich dazu in der Lage fühle. Wenn ich so unter Schock stehe, dass ich zittere oder was auch immer, dann würde ich das selbstverständlich nicht machen. Ich glaube, es würde immer auf den ankommen, mit dem ich mich gerade aufhalte, je nachdem, wie sehr ich demjenigen vertraue. Ich finde es aber schwierig, das jetzt zu sagen, weil ich glaube, ich werde dann in der Situation doch ganz anders handeln als ich es jetzt sage…

K.S.: Ja gut, das ist natürlich schwer im Vorfeld einzuschätzen. Wenn du jetzt mal an deine früheren Fahrten zurück denkst: Du warst in der 4. Klasse auf Klassenfahrt, dann warst du in der 6. Klasse gleich zweimal hintereinander unterwegs, einmal mit deiner Klasse und einmal mit einer Musikgruppe aus der Schule, dann warst du in der 7. Klasse mit den Konfirmanden unterwegs zum Kennenlernen-Wochenende, da kanntest du auch niemanden vorher…

Welche Erinnerungen hast du an diese Fahrten, auf die Allergien bezogen? War das ein Thema für dich?

F.S.: Es war eigentlich immer so, dass da so eine Ungewissheit war, weil ich nicht wusste, wie die anderen reagieren, ob mir irgendeiner blöd kommt oder so. Und ob es ob sich das machen lässt oder ob es dann von den Absprachen irgendwelche Abweichungen gibt und ich auf einmal da stehe und nichts zu essen kriege. Aber es hat letztendlich ja bei allen eigentlich ziemlich reibungslos funktioniert, und die Küchen kannten das entweder schon oder haben sich da gut drauf eingelassen, was ja auch nicht bei allen immer so ist.

K.S.: Naja, bei der ersten Fahrt war ich ja noch mit, und da war die Küche leider überhaupt nicht kooperativ. Da mussten wir wirklich jeden Tag neu abklären. Aber genau, es war immer so eine Kombination aus Lebensmitteln, die wir mitgegeben haben und Lebensmitteln, die du dann vor Ort essen konntest.

Und hast du dir damals hast du dir damals als Viertklässler Gedanken über die Allergie gemacht? Oder war das mehr die allgemeine Aufregung vor der ersten großen Klassenfahrt? Mit Ponyhof, Spiel-Scheune, Ausflügen… Stand da die Allergie so im Vordergrund?

F.S.: Im Vordergrund nicht wirklich. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich mir da vorher auch Gedanken drüber gemacht habe – ich glaube, so ein bisschen schon. Aber es war halt auch die erste Fahrt, die ich je hatte, und deswegen war die gesamte Aufregung eigentlich größer.

K.S.: Was ja leider jetzt in der 8. und 9. Klasse wegen Corona nicht stattgefunden hat, sind die Austausch-Fahrten nach England und Fahrt nach Frankreich. Was glaubst du, wie du damit auf die Allergie bezogen umgegangen wärst?

F.S.: Ich glaube, dass ich mit England wesentlich weniger Probleme gehabt hätte als mit Frankreich, weil ich besser Englisch sprechen kann als Französisch, und dass das mit der Absprache auch wesentlich einfacher ist, weil du halt auch Englisch sprichst und nicht Französisch. Ich glaube, vor Frankreich hätte ich schon wesentlich mehr Respekt gehabt, da wirklich eine Woche in so einer Familie zu leben. Frankreich hat ja auch eine „spezielle“ Ernährungs-Tradition… 😃 Also, mit vielen Schalentieren und so. Allein schon die Absprache wäre recht schwierig geworden. Und wenn es da dann noch irgendwelche Komplikationen vor Ort gegeben hätte, dann wäre das halt ziemlich blöd, so 1100 km von zu Hause weg!

K.S.: Wobei wir ja jedes Jahr Urlaub in Frankreich machen…

F.S.: Ja, aber da bin ich ja nicht alleine, und wir machen das Essen selber und kaufen selber ein. Und da ist Papa dabei, der die Sprache besser spricht als wir alle.

K.S.: Ja, stimmt, das ist dann was anderes. Ich gebe wiederum zu, als Mutter bin ich ein wenig erleichtert, dass wir das nicht organisieren müssen, aber ich hätte es dir wirklich gewünscht, es wären halt wirklich tolle Fahrten gewesen, und es ist total traurig und ärgerlich, dass sie nicht stattfinden konnten! Vielleicht kommt das ja noch… Eine Option ist ja immer, den oder die LehrerIn mit einzubeziehen, die ja die Sprache offensichtlich können, so dass man auch im Vorfeld möglichst viel abklären kann.

Eine Sache würderd mich noch interessieren: Du hast das so ein bisschen angedeutet bei den verschiedenen Fahrten, dass das Essen immer irgendwie Thema ist. Es fällt immer auf: Du isst was anderes als die anderen. Oder du musst dich irgendwo melden und sagen, „Hier, ich bin der mit der Allergie, was kann ich essen?“ Wie ist das für dich?

F.S.: Also, was mich ein bisschen nervt ist, wenn ich mich da hinsetze, und jeden Tag fragen mich drei Leute, warum ich meine eigenen Sachen dabei habe! Dann unterhalte ich mich immer mit denen darüber. Es ist natürlich lieb gemeint von den Leuten, ich finde es gut, wenn Leute sich dafür interessieren… Aber das rückt dann ein bisschen zu sehr in den Vordergrund. Ich meine, wenn du jetzt vielleicht Krebs oder irgendeine Krankheit hast, dann willst du dich auch nicht die ganze Zeit mit irgendwelchen Leuten darüber unterhalten, die dich fragen, warum du keine Haare hast oder was auch immer… Auch wenn es natürlich nur lieb gemeint ist, aber das ist dann ein bisschen nervig.

K.S.: Und hast du irgendwie so eine Standard-Erklärung? Wenn jetzt jemand z.B. sagt, in der Soße sind doch keine Nüsse drin, wie machst du demjenigen auf die Schnelle begreiflich, warum da Spuren von Nüssen drin sein können?

F.S.: Dann sag ich eigentlich immer, dass es sein kann, dass da irgendwie was reingerutscht ist, weil in der gleichen Fabrik was mit Nüssen hergestellt wird, und dass dann halt was nebeneinander produziert werden kann oder was auch immer. Dann sagen die Leute meistens „Ah, okay“, und ich weiß nicht, ob sie es dann wirklich verstanden haben, aber sie akzeptieren es.

K.S.: Vielen Dank, Frederik!

F.S.: Bitteschön.

 

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