Schwerbehindertenausweis bei Erdnussallergie und Anaphylaxie

Ist eine Nahrungsmittelallergie eine Behinderung?

(Disclaimer: Dieser Text stellt keine keine Rechtsberatung dar, sondern gibt lediglich allgemeine Hinweise.)

In aller Kürze:

In diesem Blogartikel erfährst du,

  • was überhaupt eine Behinderung ist,
  • welche Vor oder Nachteile ein Schwerbehindertenausweis hat
  • und wer einen Schwerbehindertenausweis beantragen kann.
Schwerbehindertenausweis bei Nahrungsmittelallergie

Bild anklicken 👉 Hilfe rund um Antrag und Widerspruch

In lang:

In den Allergie-Gruppen auf Facebook häufen sich zum Jahresende wieder die Fragen zum Schwerbehindertenausweis. Es sind viele Fragen, und es sind die immer gleichen Fragen. Daher greife ich die häufigsten, ganz grundlegenden Fragen hier auf.

(…hier auch zum Anhören im Nuss-Knacker-Podcast:)

Schwerbehindertenausweis mit GdB 50 und Merkzeichen H

Bei uns persönlich ist es so:

Mein Sohn hat aufgrund seiner Nahrungsmittelallergien mit Anaphylaxie-Risiko schon seit vielen Jahren einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50. Bis zum einschließlich 12. Lebensjahr hatte er zusätzlich das Merkzeichen H für Hilflosigkeit; das hat er heute aufgrund seines Alters nicht mehr.

Ist eine Allergie eine Behinderung?

Das erscheint den meisten Menschen auf den ersten Blick irgendwie nicht stimmig.

Bei Behinderung denkt man zunächst an offensichtliche, körperlich sichtbare Einschränkungen, wie zum Beispiel eine Geh- oder Sehbehinderung, oder auch an geistige Behinderungen. Also stellt sich die Frage:

Was ist überhaupt eine Behinderung?

Da schauen wir ins 9. Buch des deutschen Sozialgesetzbuchs und finden die folgende Definition:

Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist. (SGB IX §2 (1))

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen versteht den Begriff weniger medizinisch, sondern hebt noch mehr die sozialen und gesellschaftlichen Aspekte hervor:

Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. (Abs. 1, Satz 2)

Eine Schwerbehinderung bedeutet in Deutschland, dass ein Grad der Behinderung von mindestens 50 festgestellt wird. Erst dann gibt es einen Schwerbehindertenausweis.

Eingeschränkte Teilhabe an der Gesellschaft

Es geht also um Teilhabe bzw. die Einschränkung der Teilhabe an der Gesellschaft, sozusagen am „ganz normalen Leben“. Das trifft durchaus auch auf chronische Erkrankungen mit episodischem Verlauf zu, wie zum Beispiel Rheuma, Epilepsie, Multiple Sklerose oder eben auch manche Allergien. Bei Nahrungsmittelallergien geht es konkret um die sog. Typ 1-Allergie mit schwer vermeidbaren Allergenen, bei der die Gefahr einer Sofortreaktion bzw. eines akut lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schocks besteht. Insofern muss man zwar immer den Einzelfall betrachten, aber grundsätzlich:

Ja, eine Allergie kann eine Behinderung oder eine Schwerbehinderung sein!

Trotzdem zögern Eltern und fragen sich:

Sollen wir einen Schwerbehindertenausweis beantragen oder nicht?

Welche Vorteile oder vielleicht sogar Nachteile hat das für mein Kind?

Vorteile und Nachteile eines Schwerbehindertenausweises bei Anaphylaxie

Die Begriffe „Vor- und Nachteil“ sind in diesem Zusammenhang eher unpassend.

Befürchtungen: Stigmatisierung, berufliche oder versicherungsrechtliche Nachteile?

Es gibt keine Nachteile durch den Schwerbehindertenausweis, aber verschiedene Befürchtungen.

Eine Befürchtung ist z.B. die Sorge vor Stigmatisierung, denn der Begriff Behinderung ist in unserer Gesellschaft leider, leider eher negativ belegt und wird als Defizit verstanden. Außerdem gibt es Befürchtungen für Nachteile bei der Berufswahl später oder auch Nachteile bei der bei privaten Zusatzversicherungen, wie z.B. Reiserücktritts- oder Berufsunfähigkeitsversicherung.

Allerdings wird mit dem Schwerbehindertenausweis lediglich ein ohnehin vorhandener Gesundheitszustand bzw. eine ohnehin vorhandene Erkrankung dokumentiert, d.h. die Nachteile hat man durch diese Erkrankung oder Einschränkung, nicht durch die „offizielle“ Feststellung einer Behinderung.

Nachteilsausgleiche statt Vorteile

In Deutschland sieht die Sozialgesetzgebung vor, dass diese Nachteile ausgeglichen werden sollen. Daher ist der Begriff „Vorteil“ hier unpassend, sondern man spricht stattdessen von einem Nachteilsausgleich oder (in der Mehrzahl) von Nachteilsausgleichen.

Nachteilsausgleiche sind – abhängig vom GdB und Merkzeichen – erhöhte Steuerfreibeträge, ggf. ermäßigte Eintrittsgelder, kostenfreie Fahrt im ÖPNV u.a.

Da sich besonders bei Kindern im Rahmen der Entwicklung der Gesundheitszustand noch verändern kann, wird ein Schwerbehindertenausweis nur befristet ausgestellt.

Wer, wo und wie kann (man) einen Schwerbehindertenausweis beantragen?

Die Beantragung eines Schwerbehindertenausweis bei Nahrungsmittelallergien und Anaphylaxie ist leider nicht ganz einfach, denn auch die zuständigen SachbearbeiterInnen sind nicht unbedingt mit der eingeschränkten Teilhabe von Typ 1-NahrungsmittelallergikerInnen am „normalen Leben“ vertraut.

Wer kann einen Schwerbehindertenausweis beantragen?

Eltern können den Antrag für ihr betroffenes Kind stellen, wenn sie ihren Wohnsitz in Deutschland haben und ein Anaphylaxie-Risiko bei schwer vermeidbaren Allergenen, wie z.B. Erdnuss, Nüssen, Milch, Ei etc. nachweisen (!) können.

Wo kann man einen Schwerbehindertenausweis beantragen?

Der Antrag wird gestellt beim zuständigen Versorgungsamt; die Antragsformulare sind online abrufbar oder vor Ort zu bekommen.

Wie kann man einen Schwerbehindertenausweis beantragen?

Beantragt wird schriftlich mittels vorgegebenen Formularen. Darüberhinaus empfiehlt es sich, vorhandene Befunde, Arztbriefe etc. gleich mitzuschicken. Im Zusammenhang mit Anaphylaxie kann es sehr hilfreich sein, ein Begleitschreiben beizufügen, in dem die vorliegenden Einschränkungen genauer erklärt werden. Denn eine Garantie, einen allgemeinen Anspruch auf den Schwerbehindertenausweis oder die Feststellung einer Behinderung gibt es nicht. Ganz häufig wird erstmal abgelehnt oder lediglich ein GdB20 ohne Merkzeichen H anerkannt. Bei Ablehnung lohnt es sich normalerweise, Widerspruch einzulegen. Wie oben erwähnt, gilt es hier immer den Einzelfall zu betrachten.

Hilfe bei der Beantragung speziell für Nahrungsmittelallergien

Wie Eltern von betroffenen Kindern bei der Beantragung oder beim Widerspruch vorgehen sollten und wie sie konkret argumentieren können, dazu findet ihr Hilfe in der Aufzeichnung meines Online-Workshops „Schwerbehindertenausweis bei Nahrungsmittelallergie und Anaphylaxie“ inkl. hilfreichen Links und Formulierungen zum Download.

Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass eine Nahrungsmittelallergie mit Anaphylaxie-Risiko als Behinderung verstanden und werden kann, weil die Teilhabe am sogenannten normalen Leben eingeschränkt ist, vor allem im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern. Beim Schwerbehindertenausweis sprechen wir nicht von Vor- oder Nachteilen, sondern von Nachteilsausgleichen.

Hier (👉klick) geht’s zum Workshop und zu den Materialien!

Herzlichst

Kristina Schmidt

 

P.S. Kann Spuren von Wissen enthalten!

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